Eine Kurzgeschichte von Flo Durden

Damals und heute
Wann hat “damals” eigentlich aufgehört? Dieser Frage geht Flo Durden in seiner gleichnamigen Kurzgeschichte nach. Dabei richtet er den Blick auf früher (seine Kindheit) und schlägt den Bogen zum Heute (die Kindheit junger Kinder).
Für den Autor hat der Begriff “Damals” etwas romantisches, etwas, an das sich fast jeder gern erinnert und der ein oder andere zu sagen pflegt: “Damals war die Welt noch in Ordnung…”
Das könnte durchaus zum Diskussionsthema werden, denn impliziert dies nicht, dass heute (gegenwärtig) nicht alles in Ordnung ist – den Einzelnen betrachtet. Gemeint ist, dass sich viele Menschen ins Damals flüchten anstatt im Heute Veränderungen anzuschieben und zu genießen.
Leben ist jetzt – und damit geht einher, dass in Erinnerungen schwelgen gut ist, doch leben kann man ausschließlich in der Gegenwart. Die Vergangenheit prägt uns zwar – aber nichts ist in Stein gemeißelt.
Jeder Tag bietet das Potenzial, einen Neuanfang zu wagen und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Auf dass auch später Damals cool war.
JETZT IST RICHTIG.
Foto: Franziska Glöckner
Damals
© Flo Durden / 11.04.2022
Damals war die Welt noch in Ordnung.
Damals, als noch alle da waren und die Zeichen nicht ansatzweise danach standen, dass jemand bald gehen würde.
Damals habe ich im Garten Sandburgen gebaut, sie eingerissen und dann: wieder eine neue gebaut. Ich liebte es in genau dem Sand zu spielen, den mein Vater später zum Bauen von irgendwas verwendete.
Damals, als alle immer fragten, wie es in der Schule war und ich stets antwortete: „So wie immer.“
Es war das gleiche Spiel beim Friseur, denn dort pflegte ich auch „So wie immer, bitte“ zu sagen und die Friseurin, die ein Haus weiter wohnte schnippelte drauf los.
Damals mochte ich es, meine Kuscheltiere – und damit meine ich alle – vorm Einschlafen außerhalb der Bettdecke aufzubauen um sie dann, eines nach dem anderen unter die schützende und wärmende Bettdecke zu retten.
Mein Spannbettlaken war gleichzeitig eine kleine Stadt. Also ich meine damit, dass ein Stadt mit Straßen und Häusern und allem darauf gedruckt gewesen war. Ich erinnere mich nur zu gut daran, wenn meine Großmutter mein Kinderzimmer betrat und mich fragte, ob ich einen langen Stau bauen könnte…
Heute frage ich mich, ob sie mich damit beschäftigen wollte oder ob sie es einfach mochte, wenn die Dinge auch mal still standen, so wie im Stau?
Damals hatte ich auch ganz, ganz viel Playmobil! Dann kämpften immer die Männchen in blauen Uniformen gegen die grau Uniformierten. Die Männchen ahmten wohl die Epoche des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges nach, doch ich wusste das nicht.
Ich besaß auch Playmobil-Indianer, die in kleinen Zelten wohnten und meistens einen Schatz hüteten. Im Regelfall ritten die Blauen und die Grauen immer an den Indianerlagern vorbei, da sie mit sich selbst beschäftigt waren. Aber manchmal, ja manchmal, da mussten die Indianer auch kämpfen – in diesen Fällen jedoch gegen die Grauen, denn das waren immer die Bösen. Immer!
Damals, als meine Mutter hartnäckig die Wiese von den Knieflächen meiner Jogginghosen entfernen musste.
Damals, als mein Vater mich zum Fußballtraining fuhr.
Und noch mehr damals, als wir im Kindergarten diese riesigen Türme aus Holzklötzchen bauten bis wir einfach nicht höher kamen, auch wenn wir auf Stühle stiegen. Und das Lächeln im Gesicht des auserwählten Kindes, das jenes Mal einen der untersten Bausteine entfernen durfte, damit der Turm schließlich einstürzte und alle ein überraschtes Oh Oh mit den Mündern formten.
Auch damals, als man noch „Bahne frei, Kartoffelbrei“ vom Anfang des Rodelberges rief in der Hoffnung, dass es unten alle hörten. Denn in meiner Erinnerung waren die vielleicht zwanzig, dreißig Meter langen Rodelhänge ellenlang…
Ja, damals war die Welt noch in Ordnung.
Heute frage ich mich, wann Damals eigentlich endete?
Hat es jemals geendet?
Kann es das überhaupt?
Doch das ist überhaupt nicht mehr wichtig in der Gegenwart, also ich meine, sich diese Fragen zu stellen. Gerade dann verlieren die Fragen an Bedeutung, wenn man ein kleines Wesen anblickt – in unschuldige Augen sieht, die aufgeweckt und mit voller Leidenschaft Sandburgen bauen, um diese dann wieder einzureisen. Aus dem einzigen Grund um Platz für neue Sandburgen zu schaffen.
Diese kleinen Wesen, die auf die Frage „Wie war es in der Schule?“ einfach antworten: „Hm, das weiß ich gar nicht mehr. Aber im Hort haben wir Fußball gespielt!“
Diese kleinen Wesen, die beim Friseur mittlerweile sagen: „Nur die Spitzen bitte.“
Diese kleinen Wesen, die, auch wenn es noch so lange dauert, jedes einzelne Kuscheltier feinsäuberlich ins Bett setzen, um sie dann alle mit derselben Decke zu überdecken.
Diese kleinen Wesen, die zwar keine Spannbettlaken mit aufgedruckten Städten, dafür aber unzählige Holzschienen samt Zügen und Zubehör besitzen.
Diese kleinen Wesen, die mit meinen Playmobil-Männchen spielen und bei denen nicht die Grauen die Bösen sind, sondern die, die halt gerade böse aussehen.
Diese kleinen Wesen, denen man die Wiese aus den Knieflächen der Jogginghosen schruppt und dabei lächelt. Und sich nach dem Wäschewaschen denkt: Hätte ich nur vorher die Hosentaschen auf Zellstoff-Taschentücher kontrolliert…
Diese kleinen Wesen, die auf Skateboards rumrollen und ich nur darüber staunen kann.
Diese kleinen Wesen, die die ellenlangen Rodelhänge abertausende Male in Folge herunterrutschen und hinauflaufen können, während ich mir eine warme Dusche und frische, nichtverschwitzte Kleidung wünsche.
Diese kleinen Wesen, für die Damals heute ist. Und ich alles dafür tun werde, damit ihr Damals später ein wunderschönes Damals sein wird.